Der Normalbetrieb ist an den Flughäfen wieder eingekehrt. Als Folge der Corona-Pandemie leidet die Luftbranche jedoch unter einem enormen Personalmangel. Auch die Swiss musste für die kommende Ferienzeit bereits einige Flüge annullieren. Zurzeit kämpfen ausserdem die Swissport-Angestellten für bessere Arbeitsbedingungen. Erste Verhandlungen sind gescheitert, weswegen mit Streiks während den Sommerferien gedroht wird. Somit könnte es zu weiteren Annullierungen kommen.
Wird ein Flug annulliert, steht dem betroffenen Passagier nach Art. 8 der EU-Fluggastrechteverordnung (VO 261/2004), welche auch für die Schweiz anwendbar ist, ein rechtlicher Anspruch auf Rückerstattung des Ticketpreises innerhalb von sieben Tagen oder eine alternative Beförderung zum Zielort zu. Ist der neue Flug jedoch teurer, muss der Aufpreis vom Betroffenen selbst getragen werden.
Der betroffene Passagier hat in jedem Fall zusätzlichen Anspruch auf Betreuungsleistungen gemäss Art. 9 der EU-Fluggastrechteverordnung. Somit obliegt es den Fluggesellschaften, für die aufgrund der Annullierung anfallenden Übernachtungs- und/ oder Transportkosten aufzukommen.
Als finanzieller Ausgleich der Annullierung steht dem betroffenen Passagier gemäss Art. 7 der EU-Fluggastrechteverordnung eine Ausgleichszahlung von 250 EUR bis zu 600 EUR zu, abhängig von der Entfernung der geplanten Zieldestination. Nach Art. 5 der Verordnung entfällt dieser Anspruch allerdings, wenn:
- der betroffene Passagier mindestens zwei Wochen vor dem Abflug über die Annullierung des Fluges informiert worden ist, oder
- der betroffene Passagier spätestens sieben Tage vor der geplanten Abflugzeit über die Annullierung informiert worden ist und ein Angebot zu einer Ersatzbeförderung erhalten hat, die nicht mehr als zwei Stunden vor der geplanten Abflugzeit abfliegt und das Endziel nur höchstens vier Stunden nach der ursprünglichen Ankunftszeit erreichen wird, oder
- der betroffene Passagier in weniger als sieben Tagen vor der geplanten Abflugzeit über die Annullierung unterrichtet wurde und ein Angebot zu einer Ersatzbeförderung erhalten hat, die nicht mehr als eine Stunde vor der geplanten Abflugzeit abfliegt und das Endziel nur höchstens zwei Stunden nach der ursprünglichen Ankunftszeit erreichen wird.
Der Anspruch auf Ausgleichsentschädigung entfällt ausserdem, wenn die Fluggesellschaft aussergewöhnliche Umstände geltend machen kann. Diese liegen vor, wenn der Grund für die Annullation ausserhalb des Verantwortungsbereichs der Fluggesellschaft liegt. Typische Beispiele dafür sind schlechte Wetterbedingungen, Naturkatastrophen sowie terroristische Bedrohungen. Nach Art. 5 Abs. 3 der EU-Fluggastrechteverordnung muss die Fluggesellschaft im Einzelfall nachweisen können, dass die Annullierung auf aussergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Massnahme ergriffen worden wären.
In der Folge stellt sich die Frage, ob ein Streik des Bodenpersonals oder der Personalmangel, aussergewöhnliche Umstände im Sinne der Fluggastrechteverordnung begründen, die einen Entschädigungsanspruch ausschliessen würden.
Gemäss der jüngsten Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 23.03.2021) stellt ein Streik des Kabinenpersonals in der Regel gerade keinen aussergewöhnlichen Umstand mehr dar. So könne die Fluggesellschaft als Arbeitgeberin, sehr wohl Einfluss auf die streikenden Mitarbeiter nehmen und damit die Situation beherrschen. Bei einem vorhersehbaren Streik, dürfte somit erwartet werden, dass sich die betroffene Fluggesellschaft auf den bestreikten Zeitraum vorbereitet. Bei der Swissport International AG handelt es sich allerdings um eine unabhängige Servicegesellschaft für Fluggesellschaften und Flughäfen, womit ein Streik der Angestellten gerade nicht in den Herrschaftsbereich der Fluggesellschaften fällt. Ein allfälliger Streik der Swissport-Angestellten wird daher als aussergewöhnlicher Umstand, der sich durch die Fluggesellschaft nicht abwenden liess, betrachtet werden.
Vor Gericht wurde dagegen noch nicht behandelt, ob ein Personalmangel einen aussergewöhnlichen Umstand begründen kann. Somit bleibt es vorerst offen, ob in dieser Situation ein Entschädigungsanspruch geltend gemacht werden kann oder nicht.
Es empfiehlt sich in jedem Fall, vor Einleitung rechtlicher Verfahren einen Fachmann beizuziehen.
Andrej Bolliger ist Rechtsanwalt und Notar bei SLP Rechtsanwälte und Notariat in Olten.
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